42.195 km in Finnland

42.195 km in Finnland

Schon im Herbst 2017 hatte ich mich, zuversichtlich, dass das Training für den 100 km von Biel mich bis dahin dafür fit machen würde und voller Tatendrang, ein neues Land zu entdecken, für den Helsinki-City-Marathon am 19.05.2018 angemeldet.

Die Reise nach Finnland trat ich dann 1 Tag vorm Start zusammen mit meinem Mann Ralf an (Flug mit Finnair) und sie sollte insgesamt 5 Tage dauern. Ich hatte ein günstiges und gut ausgestattetes Appartement (Citykoti, ca. 1 km vom Hauptbahnhof entfernt) gemietet mit Wlan, einem kleinen Herd und sogar einer Waschmaschine.
Durch die Strapazen der Anreise (unser Flieger startete erst mit 50min Verspätung und der Flug dauerte normal ja auch schon 2h 40min) hatte ich einen Tag vorm Lauf dann bis abends eigentlich viel zu wenig gegessen (Etwas Müsli zum Frühstück, dann über den ganzen Tag nur Kekse…)- beim Abendessen wollte ich wenigstens alles richtig machen und Pasta zu mir nehmen. Dass es so schwierig werden würde, in der Hauptstadt der Finnen einen (bezahlbaren) Italiener zu finden, der mindestens ein Nudelgericht im Angebot hat, hätt ich nicht gedacht… Fast 2 Stunden irrten wir hungrig in Helsinki umher, es gab jede Menge Bars, Sushi und Grills. Fündig wurden wir dann letztendlich dort, wo wir losgelaufen waren- direkt gegenüber des Hauptbahnhofes. Bei „Leonardo“ gabs dann richtig lecker Essen- für mich Tagiatelle mit Gulasch-Sosse und Ralf war mit seiner Pizza ebenso zufrieden.

Auch am nächsten Morgen ass ich ca. 10 Uhr dann nochmal ordentlich (1.5 Brötchen und einen Bagel). Um den Körper beim Lauf nicht unnötig zu belasten, gabs die nächsten Stunden bis zum Startschuss 15 Uhr dann aber nur noch Bananen.

Schon 12 Uhr stand ich jedenfalls voller Tatendrang und fertig angelegt auf dem Startgelände, wo gerade der City Run startete (ich glaube über eine Distanz von 15km, aber die Website vom Helsinki Runners Day ist derart kompliziert zu bedienen und unübersichtlich, dass ich das nicht herausbekommen konnte, ein Ablaufplan war dort für mich nicht zu finden).

Erster Eindruck: WOW, Klos haben sie genug 😀. Eine Reihe von etwa 50 mobilen Toiletten versprach, dass das von anderen Laufveranstaltungen gut bekannte Schlangestehen kurz vorm Start hier ausbleiben würde. Lauter fröhliche Menschen tummelten sich im Startbereich vorm Olympiastadion, das ja in den 50er Jahren erbaut wurde und derzeit aufwändig restauriert wird. Die Infrastruktur des Running Days befand sich in den Nachbargebäuden. Im Voraus hatte ich über die wie gesagt völlig verwirrende Webseite die wichtigen Infos nicht herausbekommen können (wo gibt es Startnummern, Garderoben, Duschen…), aber ich hatte ja jetzt vor Ort genug Zeit und fragte mich durch. Die Startnummern gab es in einer Turnhalle gleich neben dem Startbereich. Ich bekam auch ein schickes T-Shirt (ich wählte das rote für Herren weil rosa ging irgendwie gar nicht) und einen roten Plastiksack dazu und eine Nachfrage am Infostand ergab, dass man sich in der Turnhalle zwar umziehen, die Sachen dann aber im Plastiksack und ganz woanders deponieren konnte. 400m in die Richtung, die der Herr uns gezeigt hatte. Whatever, ich hatte meine Startnummer und das würden wir auch noch finden, wir liefen los. Der Weg führte an der Hauptstrasse entlang und uns kamen lauter glückliche, medaillientragende Läufer entgegen. Ah klar-wir näherten uns ja auch gerade dem Zielbereich in der Fussballarena und der Helsinki City Run wurde gerade gefinisht. Dort konnte man jubeln und sich mit den Läufern freuen aber keine Taschen deponieren- also fragte ich mich weiter durch und wir wurden in einen mit Kunstrasen ausgelegten Bereich gleich hinter der Arena geschickt und ich sah sofort den eingezäunten Bereich der Taschenaufbewahrung. Rote Taschen gab es allerdings noch fast keine (nur knallgelbe vom City-Run) aber es waren ja auch noch 2h bis zum Start.

Beim Taschen-Abgeben stellte sich dann noch die letzte brennende Frage: Wo kann man nach dem Lauf duschen? Die netten finnischen Damen zeigten dann auf den steinigen Hügel hinter der Taschenaufbewahrung: da drüber laufen und solange geradeaus, bis eine Schwimmhalle kommt, da kann man duschen… Oje nach 42 km noch über einen Hügel klettern um zu duschen klang nicht nett und als ich es mir vorab anschauen ging, fand ich zwar die Schwimmhalle, aber sie war geschlossen und kein Mensch war weit und breit zu sehen (obwohl doch gerade so viele ins Ziel gerannt waren und man doch denken sollte, die würden jetzt duschen gehen…). Naja egal, ich beschloss, zu beobachten, wo meine Mitläufer nach dem Marathon hingehen würden und auf die Weise die Dusche zu finden. Das war kein schlechter Plan, fand ich.

nur noch 1h bis zum Start

Nach noch etwas Relaxen im Finisherbereich (dort wo ich meine Sachen deponiert hatte), gings dann zum Start. Auf der Tribüne waren 2 Speaker schon mächtig am Stimmung machen. Die Sonne knallte (wolkenlos und 19 Grad) und nirgenswo gab es Wasser, um meine Stoffschlauch-Kopfbedeckung anzufeuchten. Ich beschloss, das dann gleich beim ersten Getränkeposten nach 3 km zu tun. Die Versorgung mit Getränken unterwegs war laut Streckenplan einzigartig- ca. aller 3 km ein Verpflegungsposten. Ich packte also 4 Sportlergele und eine Dose mit Datteln (aber keine Wasserflasche) in meinen Hüftgurt.

Gleich gehts los!

Dann ging es pünktlich 15 Uhr los, ca. 2 min langsam eine abgesperrte Strasse hinunter (es starteten immerhin 2500 Teilnehmer), dann schon bald immernoch dicht aber in annehmbaren Tempo. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, den Lauf mit einer Pace von 5:50min anzugehen. Aber jetzt, wo so niemand da war, mich daran zu erinnern, hatte ich plötzlich Bock zu schauen, was geht. Also lief ich einfach so schnell wie der Pulk, in dem ich mich befand und überholte ab und an und scherte mich nicht um die Pace. Dann kam auf der rechten Seite der erste Verpflegungsposten (es gab wie an allen anderen noch folgenden Posten Iso und Wasser) und ich war gerade ganz links und musste mich erstmal rüberkämpfen. Da war sie, die ersehnte Erfrischung, ich lief ab sofort mit nasser Kopfbedeckung und kühlem Kopf weiter. Das gab mir geschwindigkeitsmässig ziemlich Aufwind. Die Strecke war zum Glück oft schattig, es ging kurvenreich und mit einigen kleineren Steigungen durch Parks und über die Inseln rund um den Seurasaarenselkä-Fjord und während ich die schöne Aussicht wahrnahm und gleichmässig flott vorankam (ich hatte eine Zweiergruppe gefunden, bei der ich mich bis km 10 “ einklinkte“, kamen doch immer wieder Gedanken wie: Mist, diesen Hügel musst Du bei km 33 dann nochmal hoch…

Um den Seurasaarenselkä bin ich 2x herumgerannt

Der Helsinki-City-Marathon ist eben so aufgebaut, dass man nach einer um eine 6 km-Schlaufe am Hafen verlängerten ersten Runde die ersten 18km nochmal absolvieren muss (2. Runde).

Nach dem 10km Verpflegungsposten (die Pause dauerte etwas länger, da ich aufs WC musste), preschte ich nach vorn, um die verlorene Zeit wieder aufzuholen, was wegen der vielen Läufer recht schwer fiel. Als ich ca. bei km 12 wieder die 4:00 h Pacemaker erreichte, fiel mir etwas auf: dutzende Läufer liefen hinter ihnen her, vor ihnen gabs viel Freiraum. Also bremste ich nicht sondern rannte an ihnen vorbei. Freiheit!!! Es ging flach über Asphaltstrassen und ich war voll im Schwung und genoss es einfach.

im Lauf-Flow

Darüber, dass ich noch fast 30 km vor mir hatte, dachte ich schlicht nicht nach. Ich wollte wissen, was ich wirklich kann.

Selfie bei km 16

Dann bemerkte ich ca. bei km 16 vor mir 2 Franzosen (gross „France“ auf den orangenen T-Shirts und die nationalfarben auf die Wade gemalt), die sehr konstant in meinem Tempo liefen. Da lief ich dann einfach mit (Pace von ca. 5:30min). Das funktionierte wunderbar und ich rannte neben den Jungs bis km 22, also die ganze Strecke am Hafen und die westliche Schlaufe der ersten Runde. Die Atmung war ruhig und ich fühlte mich gut. Bei km 18 hatte ich mein erstes Gel zu mir genommen. An jedem Getränkeposten machte ich meine Kopfbedeckung nass und trank 1-2 Iso und dann gings sofort weiter.

Bei km 22 versuchte ich es wieder im Alleingang und war die nächsten 6-7 km etwa mit einer Pace von 5:25min unterwegs (plus die Verweilzeiten an den Getränkeposten). Das ging auf die Substanz und so schob ich bei km 24 das zweite Gel und noch 3 Datteln nach.

Dann ab km 28 merkte ich deutlich ein Tief. Tunnelblick, die Unfähigkeit den Kopf zu bewegen und sich nach rechts und links umzuschauen, jeder Gedanke strengte an, ich war nur noch fähig zu denken: noch 14km, noch 13km, noch 12… Die Restkilometer waren mein Mantra. Dieser Zustand wurde leider die verbleibende Strecke nicht besser. Ich war die letzten 3 Stunden ans Limit gegangen und bekam jetzt die Quittung von meinem Körper zurück. Unglaublich nett und hilfreich, dass bei km 30 kurz vorm Getränkeposten junge Frauen als Promotionsaktion Sportlergele verteilten! Es folgten langsamere Kilometer, während denen ich mit Übelkeit und Schwäche kämpfte. Jetzt einfach durchhalten, das Ende war ja absehbar. So hätte ich mich weiter dahingeschleppt, wenn… ja wenn ich nicht bei km 37 die 4:00h-Pacemaker direkt hinter mir bemerkt hätte. Das löste etwas in mir aus. Die wollte ich auf keinen Fall davonziehen lassen!

Also hab ich die Zähne zusammengebissen und bin an ihnen drangeblieben. Sie hatten soviel Energie, waren am Winken und gut gelaunt und sehr konstant unterwegs. Trotz Übelkeit liess ich mich mitziehen. Die nächsten 5 km war ich nicht nur 1x kurz davor, sie ziehenzulassen. Mir gings saudreckig. Aber das Ziel war so nah und wenn ich jetzt einfach mitlief, würde ich eine Zeit von 4 h schaffen. Also hab ich die Zähne zusammengebissen und gekämpft und blieb an den schnellen Pacemakern dran (die hatten scheinbar aufzuholen und waren km 37-40 eher mit einer Pace von unter 5:20min unterwegs). Die letzten 2 km liefen sie zum Glück etwas ruhiger (Pace 5:40min). Aber ich war auch am Anschlag. Schneller hätt ich nicht gekonnt. Ab km 40 war mir speiübel…

Jedenfalls hab ichs geschafft, zeitgleich mit den 4:00h Pacemakern im Stadion einzulaufen.

kurz vorm Ziel

 

Geschafft!

Offizielle Netto-Zeit 3:59,16 h! Nie hätt ich gedacht, dass ich noch dieses Jahr einen Marathon in unter 4h finishen würde. Ich hab mich mit dieser Leistung und einer durchschnittlichen Pace von 5:40 min über 42.195 km ehrlich selbst überrascht. Überglücklich und unbeschreiblich erschöpft stolperte ich durch den Finisherbereich und nahm alles nur noch wie in Trance wahr. Ich bekam eine sehr schöne Medaille, wurde fotografiert, 2 junge Frauen besprühten meine Beine mit Ice-Spray, es gab Stände mit Kaffee, Iso und sauren Gurken und ich wollte einfach nur trinken.

Finisher-Medaille

Beim Verlassen dieses Bereichs ging es dann durch das „Finisher-Bag-Spalier“. Mir wurde eine hellblaue Papiertasche in die Hand gedrückt, die auf den folgenden 20 Metern mit allerhand tollen Sachen gefüllt wurde: Wasserflaschen, Quarkspeise, alkoholfreies Bier, Recovery-Protein-Drinks, Rosinen, Müsliriegel, finnisches Speiseeis (das hab ich aber leider erst 1h später bemerkt, dass das Eis war…), Wasabi-Cracker…

Ich wollte mich mit Ralf 19:30 Uhr am Eingang zur Fussballarena treffen und dumnerweise war ich jetzt viel zu früh da und es war schattig am Treffpunkt. Ich war klitschnass geschwitzt und fing schnell an vor Kälte zu schlottern. Irgendwie kam mir dann noch der rettende Gedanke, lieber 20m entfernt in der Sonne zu warten aber da wars schon zu spät. Ich hörte nicht mehr auf zu zittern. Als Ralf dann 19:30 Uhr kam, hat mich seine Jacke plus trockene Wechselsachen aus meinem Rucksack, die ich einfach mitten im Getümmel ohne Garderobe (um zu der zu kommen, hätt ich ja wieder 400m laufen müssen…) über mein nasses Oberteil zog, vorm Tod durch Erfrieren gerettet. Nach Duschen war mir nicht mehr (aber ich hätt es auch nicht mehr über den Hügel geschafft) und auch die Gratis-Beinmassage im Finisherbereich hab ich wegen Frieren und Schwäche ausfallen lassen. Wir sind dann auf schnellstem Wege zur Ferienwohnung zurückgefahren und nach der heissen Dusche und 2 Proteindrinks gings mir schon wieder vieeel besser.

Heute, 24 h nach dem Lauf, lässt der Muskelkater langsam nach. Es war doch sehr anstrengend aber ich bin einfach nur glücklich, dass ich das geschafft habe. Der Helsinki-City-Marathon wird mir ganz sicher in guter Erinnerung bleiben.

 

 

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